Die Sprache der Kinder ist vielseitig. Was sie nicht in Worte fassen können, drücken sie durch ihr Verhalten aus.
Benjamin sitzt zusammengekauert auf dem Gehweg. Das Kinn auf die Knie gestützt, beobachtet er das Treiben der anderen Kinder in der Kita.
Einerseits möchte er gerne mit Jonas spielen, der mit Clara und Sam im
Sandkasten spielt und gerade Sand aus einem großen Eimer auf einen
Haufen schüttet. Andererseits fühlt er sich überfordert von den vielen
Eindrücken und will sich am liebsten hier zurückziehen. In ihm brennt ein
Konflikt: spielen und Spaß haben oder sitzenbleiben und alles im Blick zu halten und so Kontrolle und Sicherheit und mehr Ruhe zu haben. Er schaut zu Bärbel, der Erzieherin, ob dort Unterstützung zu erwarten ist. Doch Bärbel ist im Gespräch mit einer anderen Erzieherin und schaut in eine andere Richtung. Unsicher wiegt Benjamin sich hin und her. Soll er oder soll er nicht? Alleine schafft er es nicht.
Um auf sich aufmerksam zu machen, beginnt Benjamin Geräusche mit seinem Mund zu machen: „plopp… plopp … plopp“. Immer lauter, doch es nützt nicht wirklich etwas. Die Erzieherinnen schauen zwar kurz zu ihm hinüber, wenden sich dann aber wieder ab, um weiter miteinander zu reden. Benjamin schaut sich um. Links neben sich im Gebüsch entdeckt er einen dicken Stock. Er zieht ihn aus dem Gestrüpp und lässt ihn immer wieder über die eisernen Gitterstäbe des Zaunes rechts neben sich gleiten. Das macht ein schepperndes Geräusch. Immer energischer lässt er den Stock über die Stangen gleiten. Endlich kommen die Erzieherinnen in Bewegung. Sie schauen nun alle auf ihn. Elsa, die Gruppenleiterin, sagt etwas zu den anderen, wendet sich von ihnen ab und kommt mit energischen Schritten auf ihn zu. „Was soll das, was machst du für einen Lärm? Hör auf damit, geh lieber mit Jonas im Sandkasten spielen.“ Wütend reißt sie ihm den Ast aus der Hand und geht kopfschüttelnd wieder zu den anderen Erzieherinnen.
Den Stock wirft sie in hohem Bogen über den Zaun. Tuschelnd stehen sie nun zusammen und schauen abwechselnd mit hochgezogenen Augenbrauen und Unverständnis im Blick zu ihm herüber. Benjamin sitzt starr vor Schreck zusammengekauert auf seinen Füßen, den Kopf wieder auf die Knie gestützt. Er wagt nicht sich zu rühren.
Sein Kopf ist heiß und gesenkt und sein Gesicht knallrot vor Scham. Wie gerne würde er jetzt zuhause bei seiner Mutter sein. Er fühlt sich hilflos, alleine und völlig nackt. Wie rohes Fleisch fühlt sich sein Körper an. So verletzlich und gleichzeitig so falsch. Am besten er bleibt hier mucksmäuschenstill sitzen und wartet, bis der Kindergarten aus ist und seine Mutter ihn abholt.
Nur ganz langsam legt sich die Scham und mit ihr die Starre. Er weiß nicht, wie lange er dort gesessen hat. Für ihn ist es eine Ewigkeit.
Vorsichtig und leise löst er seine Beine und lässt sich auf seinen Po sinken. Seine Beine sind eingeschlafen und kribbeln ganz unangenehm. Doch er traut sich nicht um Hilfe zu rufen. Leise beginnt er in sich hinein zu weinen.
Jonas spielt immer noch mit Clara und Sam im Sandkasten. Doch Benjamin fühlt nur noch Trauer und Einsamkeit.
Kinder machen auf vielfältige Weise auf sich aufmerksam, wenn sie unsere Unterstützung brauchen. Was für uns einfach nur störend und nervend erscheint, ist oft ein Hilferuf des Kindes.
Im Grunde wird gerade darin ihre Kompetenz sichtbar, mit herausfordernden
Situationen umzugehen. Sie sind keine Opfer, nur weil sie sich in gewissen Situationen überfordert fühlen. Sie werden erst durch Erwachsene, denen die nötige Empathie fehlt, zu Opfern gemacht.
Das sehe ich ganz genauso.
Liebe Katrin
Herzlichen Dank, für Dein Feedback. Ja, es wird leider oft nicht als solches gedeutet. Und ich bin froh um jeden, der es in die Welt hinein trägt und dafür sensibilisiert. 💕