könnt ihr euch an eure Zeit im Kindergarten erinnern?
„Ich war ein sehr zurückhaltendes Kind. Mich erschlugen die Lautstärke, die ganzen Eindrücke und die unterschiedlichen Emotionen der anderen Kinder.
Ich erinnere mich an einen Morgen. Ich saß auf dem langen Sideboard, welches die eine Seite des Raumes entlanglief. Meine Mutter stand vor mir. Sie hielt meine Hände und ich fühlte die Sicherheit, welche sie für mich ausstrahlte.
Es war Zeit sich zu verabschieden und die Trennung war schon physisch und psychisch spürbar. Hier mit meiner Mutter war der sichere, geborgene Raum. Dort, ohne meine Mutter, war der unsichere Raum, in dem ich unbekannten Herausforderungen allein gegenüberstand.
Kein Kind gibt gerne diese Sicherheit auf, um sich einer völlig neuen und unbekannten Welt auszusetzen, in der es weiß, dass es sich nicht gehen lassen darf. In der es andauernd an irgendwelche Grenzen, Regeln und Rituale stößt, die seinen Fluss stören. Zuhause gab es auch bestimmte Abläufe. Doch waren diese nicht starr, sondern passten sich den Bedürfnissen unserer Familie an.
Dort war die Struktur eine Orientierung und Unterstützung für den Alltag.
Hier im Kindergarten mussten wir uns nach dieser festgelegten und nicht flexiblen Struktur richten. Sie bestimmte alles.
Wir mussten auf die Toilette, wenn es die Struktur vorsah, essen, spielen und singen.
Natürlich durften wir auch zwischendurch zur Toilette, wenn es dringend war. Nur mussten wir dann den Kindergärtnerinnen Bescheid sagen. Und wenn wir gerade erst im Waschraum gewesen waren, gab es eine Rüge, weshalb wir nicht schon gegangen wären.
Das verunsicherte mich und ich hatte Angst vor der Reaktion der Erwachsenen. Ich brachte es nicht fertig zu sagen, wenn ich ein Bedürfnis hatte. Es war eine Blockade, die verhinderte, dass ich die Erwachsenen ansprechen konnte.
Es gibt diesen einen Moment, der mir in Erinnerung geblieben ist und stellvertretend für alle anderen Situationen war. Meine Erzieherin saß im Garten auf einem Stuhl und hielt eine Handarbeit in der Hand, an der sie werkelte. Ich ging langsam auf sie zu, weil ich zur Toilette musste. In einiger Entfernung blieb ich stehen und versuchte Mut zu fassen, um sie anzusprechen. Doch meine Stimme blieb mir wie immer im Hals stecken/verwehrt. Ich weiß es wie gestern, dass sie mich wahrnahm und auch, dass sie wusste, dass ich etwas von ihr wollte. Ich spürte förmlich ihre Erwartung, dass ich sie von mir aus ansprechen möge. Sie ließ mich zappeln. Ich verstehe ihre Idee, dass sie hoffte, mich dadurch aus meiner Sprachlosigkeit zu befreien. Doch trieb sie mich damit nur noch mehr dort hinein. Ich bekam mehr und mehr das Gefühl falsch zu sein. Dass ich anders sei und mich anpassen müsse an eine Welt, die mich nicht verstand und die ich als eine Art Kampfarena erlebte.
Durch mein zögerliches Zugehen auf die Erwachsenen, bewegte ich mich sehr langsam.
Dies nahm die Erzieherin zum Anlass, das Lied von der kleinen Schnecke zu singen.
Allerdings bewirkte das bei mir nur, dass ich noch verunsicherter wurde und mich noch dazu beschämt fühlte und mein Tempo noch langsamer wurde. Sie verstand mich nicht. Ihr fehlte das Einfühlungsvermögen, das ich gebraucht hätte. Im Gegenteil, sie tat alles, um meine Symptome zu verstärken, die Ausdruck dessen waren, was in ihrem Verhalten und der Struktur nicht stimmig war. Ich war falsch und sollte mich verändern und anpassen. Allerdings war dies für mich unmöglich.
Weshalb sahen und hörten die Erwachsenen nicht, was ich sah und hörte? Weshalb taten sie Dinge, die so unglaublich unsensibel, übergriffig und überheblich waren? Für was wurde ich durch ihr Verhalten beschämt und bestraft?
In dieser Zeit entwickelte ich einen Mutismus, der mich noch bis ins Erwachsenenalter begleiten sollte.“
Sprachlose Kinder brauchen umso mehr Bindung und Zuwendung. Sie brauchen eine Einladung sich öffnen zu können. Unterstützung im Sinne von: ich höre dir zu und bin für dich da, wenn dir die Stimme versagt. Dann nehme ich einen noch so kleinen Faden wahr und spinne ihn für dich weiter. Ich gebe dem eine Stimme, wo deine versagt.
Bedürfnisse dürfen nicht untergehen, weil ein Kind an der Herausforderung scheitert, diese auszudrücken.
Gerade kleine Kinder brauchen emphatische und achtsame Menschen, die auf Zusammenhänge blicken können und dort verändern, wo es Sinn macht, bei sich selbst.
Wenn wir Verhalten fokussieren und es versuchen zu verdrängen, bestärken wir es nur.
Denn jedes Verhalten hat eine Ursache, die im Gesamtsystem zu suchen ist. Es ist nur das Symptom.
Was braucht das Kind, um sein Verhalten zu ändern? Was stärkt es?
Scham und Ignoranz tun es nicht.