Eine Mutter schiebt ihren Einkaufswagen durch die Gänge. Neben ihr läuft ein etwa dreijähriges Mädchen. Mit großen Augen schaut es um sich. So viele verschiedene Dinge. Manche kennt sie, andere wiederum sind ihr fremd. Ihre Mutter bleibt immer wieder stehen, nimmt etwas aus einem der Regale und legt es in den Einkaufswagen. Mitunter bleibt sie etwas länger stehen und betrachtet den Gegenstand etwas länger. Einmal rollt sie mit den Augen und legt das gewählte Teil seufzend zurück ins Regal. Ein andermal brummt sie genüsslich und legt gleich zwei der Artikel in den Wagen. Langsam füllt sich dieser mehr und mehr. Die Kleine beobachtet das Verhalten der Mutter sehr genau. Und sie sieht auch die anderen Menschen. Wie sie durch die Gänge huschen und sich von den Dingen im Regal nehmen, was und wie viel sie wollen. Ein wohliges und zugleich abenteuerliches Gefühl macht sich in ihr breit. Hier darf sich jeder nehmen, was er möchte.
Inzwischen sind die beiden an der Kasse angekommen. Die Mutter beginnt die Waren auf das Band zu legen. Das Mädchen sieht neben sich ein Meer von bunten glitzernden Papierchen, die sie ungeheuer anziehen. Mit Wonne greift sie sich eins dieser bunten Glitzerdinger und hält es fest und überglücklich in der Hand. Im Bewusstsein, alles richtig gemacht zu haben.
Ihre Mutter ist inzwischen fertig mit dem Ausräumen des Wagens und bemerkt die Süßigkeit in der Hand ihres Kindes. Leicht verärgert brummt sie in deren Richtung: „Leg das wieder hin.“
„Nein“, antwortete die Kleine.
„Leg das sofort wieder hin! Was fällt dir ein dir einfach etwas zu nehmen. Und dass du mir widersprichst, geht schon mal gar nicht. Dieses ungesunde Zeug, und dann auch noch kurz vorm Abendessen. Das ist einfach nicht gut für dich. Das brauchst du nicht. Hast du mich gehört!?!“
Die Mutter wird immer wütender und entnervt entreißt sie ihrer Tochter die Süßigkeit und legt sie zurück ins Regal.
„Ich will aber nicht!“, brüllt nun das Mädchen los und wirft sich schreiend und um sich schlagend auf den Boden. Mitleidige und ungehaltene Blicke richten sich auf Mutter und Kind.
Nervös blickt die Mutter um sich, reißt ihr Kind, welches immer noch außer sich ist, vom Boden und setzt es mit hochrotem Kopf in den Einkaufswagen.
Trotz des sich aufbäumenden Menschleins vor sich, nimmt sie kurz vor dem Bezahlen noch eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten.
Wenn unser Gesagtes nicht unserer Haltung, unserem Verhalten entspricht, bleibt es eine leere Worthülse, die für große Verwirrung sorgt.
Diese Mutter gibt die volle Verantwortung dem Kind. Sie ist sich keiner Verantwortung für dessen Handeln bewusst. Sie definiert das Kind für sein Verhalten, macht es in seiner Person falsch und zum Objekt. Sie ignoriert jegliche Grenzen, Bedürfnisse, Empfindungen, Wünsche und Werte ihres Kindes. Sie interessiert sich nur dafür, wie sich das Kind in ihren Augen zu verhalten hat.
Hierdurch wird der Selbstwert des Mädchens enorm beeinträchtigt. Es fühlt sich in seinem So- Sein tief beschämt und gekränkt. Und es wird in seinem Bedürfnis nach Autonomie beschnitten und in seinem Nachahmungstrieb verunsichert.
Ein gleichwürdiger Umgang wäre gewesen, wenn die Mutter den Wunsch des Mädchens ernst genommen und für es ausgedrückt hätte. Es in seinem So-Sein angenommen und durch seine Frustration unterstützend begleitet hätte: „Ich kann verstehen, dass du das gerne haben möchtest. Doch ich will, dass du gesunde Sachen isst. Ich will, dass du das wieder hinlegst.“
Sie hätte ihm Raum und Zeit geben können, seinen eigenen Wunsch aufzugeben, um dem Willen der Mutter zu entsprechen und so aus freier Entscheidung und dem Schutz der persönlichen Integrität die Süßigkeit wieder hinzulegen. „Das frustriert dich jetzt und macht dich wütend. Ich bin da für dich, das stehen wir gemeinsam durch.“
Und die Situation selbst zum Anlass nehmen, die eigenen Werte vorzuleben, indem Sie die Zigaretten liegen lässt und sich selbst auch gesund ernähre.